Widerstand mit Rockmusik und gutem Bier
Zusammen mit Ian Curtis, Lemmy und Jimmy Page in einem Raum? Was für viele Musikfans nach einem unglaublichen Traum klingt, ist bei der kleinen und jungen Brouwerij ’t Verzet in der belgischen Region Westflandern möglich.
Es duftet nach feuchtem, alten Holz und nach Waldboden. Auch kitzelt eine gewisse alkoholische Säure die Nase. Direkt vor einem stehen Foeder* mit über 4000 Litern Fassungsvermögen. Der typisch rote Ringe des Randes der großen Holzfässer ist der einzige Farbklecks im fast monotonen und aufgeräumten Barrel-Aging-Raum der Brouwerij ’t Verzet. Die Temperatur ist jenseits der 24° C und dank der hohen Luftfeuchtigkeit beginnen die Schweißdrüsen an zu arbeiten. An den anderen Wänden des großen Raumes sind weitere kleinere Holzfässer in Regalen penibel sortiert. Jedes dieser ungefähr 60 Fässer trägt einen Namen. Den Namen einer berühmten Persönlichkeit aus der Musikgeschichte. Neben einem Ian Curtis liegt Keith Moon, auf der anderen Seite Lenny Kravitz, über ihm Janis Joplin.
Musik ist den drei Gründern von der Brouwerij ’t Verzet wichtig, erzählt Koen Van Lancker. Sie dient ihnen als Motivation und die Arbeit macht mehr Spaß. Auch bei unserer Besichtigung in der Brauerei in einer ehemaligen Gemüse-Lagerhalle im westflämischen Anzegem läuft laute Rockmusik. Was den Brauern aber noch viel wichtiger ist als gute Musik, ist gutes Bier.
Bevor die Freunde Koen Van Lancker, Alex Lippens und Joran Van Ginderachter 2011 ihre eigen Brauerei gründeten, waren alle drei bereits in anderen Brauereien tätig – unter anderem bei der berühmten De Proefbrouwerij**und sogar in der amerikanischen Brauerei New Belgium. Doch sie wollten ihr eigenes Ding machen und waren gelangweilt von den angestaubten Brauereien und klassischen Bieren Belgiens. Die drei Freunde, die sich schon aus Studienzeiten kennen, haben damals bereits moderner und über die Grenzen hinaus gedacht, haben sich aber nie eine Richtung vorgeben lassen, sondern gehen ihren Weg. Nicht umsonst bedeutet der Name „’t Verzet“ übersetzt „der Widerstand“.
Ganz besonders merkt man diesen Widerstand bei einem ihrer Biere, dem Oud Bruin. Der Name des Bieres ist gleichzeitig dessen Bierstil, der besonders für die Region bekannt ist. Das dunkelbraune Bier wird mit einer obergärigen Hefe vergoren und anschließend in Holzfässer gelagert. Dadurch wird eine zweite Gärung in Gang gesetzt, bei der wilde Hefen und besonders Milchsäure- und Essig-Bakterien aus dem Holz das Zepter in die Hand nehmen. Das Bier wird säuerlicher und wundervoll komplex. Im letzten Schritt werden die holzfassgelagerten Biere unterschiedlichen Alters verblendet und am Ende in Flaschen abgefüllt.
Kompliziert wird es, wenn man die offiziellen Bierstile betrachtet, denn eigentlich ist das Oud Bruin von ’t Verzet ein Flanders Red und kein Flanders Brown (= Oud Bruin). Der Unterschied ist dabei nicht nur regional bedingt. Der Bierstil Flanders Brown wird im Osten von Westflandern produziert, Flanders Red im Westen. Im Herstellungsprozess unterscheiden sich beide Stile aber noch mehr. Denn während die westliche Version in Holzfässern gelagert wird, reifen die Biere eines klassischen Oud Bruin in Stahltanks. Dadurch kommen weder wilden Hefen noch Bakterien, die sich im Holz der Fässer befinden, in Kontakt mit dem Bier. Der Belgier selber nimmt es da allerdings nicht so genau und und macht bei den Stilen keinen großen Unterschied, weshalb auch bei ’t Verzet das Bier Oud Bruin heißt und nicht Flanders Red.
Der berühmteste Vertreter eines solchen Bieres ist das Grand Cru der Brouwerij Rodenbach aus Roeselare, ca. 30km von ’t Verzet entfernt. Aber Rodenbach gehört inzwischen zu der Großbrauerei Palm, welche wiederum zum Braukonzern Swinckels gehört. Für die Jungs der unabhängigen Brauerei eine Art Feind. Denn neben Widerstand ist Unabhängigkeit ein unternehmerisches Fundament der Brauerei. Über der 20HL-Anlage ragt eine Illustration, die die Philosophie der Brauerei mit einem kleinen Augenzwinkern darstellt: Personifizierte Hopfendolden, Flaschen mit Augen, ein Elch und „Super NoAH“, der Superheld***malträtieren einen feuerroten Adler, der für den Bier-Konzern AB InBev steht.
Mit ihrem Oud Bruin sind ’t Verzet ziemlich einzigartig auf dem belgischen Markt. Denn ihre Version ist weder filtriert noch pasteurisiert. So wie es eigentlich auch sein sollte. Es ist ein ursprüngliches Produkt und weniger süß als die kommerziellen Oud Bruin-Vertreter von größeren Brauereien.
Doch mit dem Bier wird auch experimentiert. Denn für weitere Varianten wird das Oud Bruin auf lokale Kirschen und Himbeeren gelagert und sorgt für noch mehr Frische, für das Oud Bruin Oak Leaf werden sogar Eichenblätter gesammelt und mit dem Bier gelagert, was für eine herbe Note sorgt. Nicht nur die Blätter sind lokal, die Verzets achten auch darauf, dass sowohl Hopfen, als auch Malz aus der Region – oder zumindest aus Belgien – stammen. Ein weitere Variante ist der Oud Bruin Balsamico. Hierfür wird das Bier solange in schottischen Whisky-Fässern gelagert, bis Essigsäure-Bakterien die Oberhand gewinnen und dem Bier eine intensive Säure bescheren.
Abgesehen von dieser ungewöhnlichen Weiterverarbeitung, brauen die Belgier ihre Biere so minimal wie möglich, indem sie keine Zusätze dem Bier hinzufügen. Auch ihr Witbier**** Space Cadet wird ohne Zusätze gebraut. Fruchtige Noten sollen möglichst vom Hopfen oder von der Hefe und weniger von echten Früchten kommen. So bleibt der Fokus beim Brauerhandwerk und bekommt die Anerkennung, die es verdient.
Um diese müssen sie sich aber keine große Sorgen machen. Denn einen Namen haben sich die Verzets bereits gemacht. Ihre Biere sind beliebt, besonders bei den jüngeren Leuten. Der Großteil der Produktion wird in Belgien verkauft. Vieles auch direkt vor Ort in der Brauerei-Bar oder im eigens angelegten Biergarten hinter dem Gebäude, wo auch im ersten Jahr der frisch gepflanzte Hopfen wächst. Und sollten sie dennoch einmal an ihre Grenzen stoßen, so ist noch genügend Platz für mehr Gär- und Lagertanks in der Halle vorhanden.
Es wäre ihnen zu wünschen, bald expandieren zu können, denn die sympathischen Belgier machen vieles richtig. Vor allem das Bier. Und so lange sie sympathisch bleiben und nicht so groß und kommerziell werden wie ihre Konzern-Kontrahenten, soll es den Jungs von der Brouwerij ’t Verzet nur recht sein.